Fotografien aus einem fernen Land
Deutschland um 1980
Es war die Zeit von ABBA, Aerobic und Minipli. Von „Dallas“, der „Neuen Deutschen Welle“
und der RAF. Die „Babyboomer“ gingen gegen das Wettrüsten auf die Straße, und an die Wiedervereinigung von BRD und DDR glaubte so gut wie keiner mehr: „Deutschland um
1980“ war eine Epoche voller Gegensätze, in Mode und Musik ebenso wie in der Politik.
Fotografinnen führen im Altonaer Museum nun das Lebensgefühl jener Jahre vor Augen.
Sie wirken tatsächlich wie „Fotografien aus einem fernen Land“.
Für die einen ist es Geschichtsunterricht in Schwarzweiß, für die anderen eine Reise in die Jugend.
Denn diejenigen, die diese Zeit als Teenager oder junge Erwachsene erlebt haben, werden unvermittelt
mit der Revision ihrer Erinnerungen konfrontiert. Und diejenigen, für die diese Zeit irgendwo im vorigen
Jahrtausend liegt, werden sich vielleicht fragen: „Was haben meine Eltern damals eigentlich gemacht?
Häuser besetzt? Gegen Brokdorf demonstriert? (Im Februar 1981 gab es die bis dahin größte
Demonstration gegen das geplante Atomkraftwerk von rund 100.000 Menschen in der Wilstermarsch, es
wurde dennoch in Betrieb genommen). Oder gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen? (Im Ok-
tober 1981 protestierten 300.000 Menschen in Bonn, ein Jahr später eine halbe Million). War tatsächlich
eine „allgemeine Untergangsstimmung“ zu spüren oder nicht vielmehr Aufbruch und Zuversicht?
Schließlich veränderte sich doch etwas: Die Grünen wurden gegründet und gaben der Friedens- und
Umweltbewegung einen enormen Schub.
Fragen und Diskussionsansätze en masse angesichts der vielen spannenden Fotodokumente. Dabei ist
„Deutschland um 1980“ wörtlich zu nehmen: Die Schlaglichter auf politische und gesellschaftliche Ereig-
nisse – in beiden deutschen Staaten wohlgemerkt – umfassen das Jahrzehnt 1975 bis 1985 und wurden
ursprünglich vom LVR-Landesmuseum Bonn konzipiert (zusammen mit Dresden und der Stiftung F. C.
Gundlach), mit einer Auswahl von sieben fotografischen Positionen: Mahmoud Dabdoub, Gerd Danigel
(beide ehemals DDR), Barbara Klemm, Hans-Martin Küsters, Martin Langner, Angela Neuke und Ingolf
Thiel.
Im Altonaer Museum sind sie durch die Arbeiten der Hamburger Fotografen Christian von Alvensleben
(Porträts der Hells Angels auf St. Pauli, 1976), Wilfried Bauer (Göttinger Häuserkampf) und Asmus Henkel
(Strukturwandel von Ottensen) ergänzt, fehlen aber in dem Schwarzweiß-Katalog (Hirmer Verlag), der
den Zeitgeist hervorragend einfängt und unmittelbare Vergleiche zwischen den Entwicklungen in Ost und
West erlaubt. Hier sind auch die fotografischen Ikonen jener Epoche vereint, die Barbara Klemm berühmt
machten: Wolf Biermanns legendäres Köln-Konzert vor der Ausbürgerung aus der DDR; der Bruderkuss
zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker zum 30. Jahrestag der DDR (1979); Joschka Fischer
in Turnschuhen bei seiner Vereidigung zum hessischen Umweltminister (1985). Am nachdenklichsten
aber stimmen wohl Angela Neukes symbolhafte Bilder aus dem „Deutschen Herbst“: Die Trauerfeiern
des von der RAF ermordeten Hanns Martin Schleyer (Stuttgart, 25.10.1977) und der RAF-Terroristen
Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe, nur zwei Tage später in derselben Stadt, stehen
bis heute für die schwerste innenpolitische Krise der (westdeutschen) Bundesrepublik.
Isabelle Hofmann
„Deutschland um 1980. Fotografien aus einem fernen Land“ , bis 3. März 2025, Altonaer Museum, Museumsstraße 23, 22765 Hamburg,
Mo 10 – 21 Uhr, Mi – Fr 10 – 17 Uhr, Sa/So 10 – 18 Uhr, Di geschlossen. Weitere Informationen auf www.shmh.de/altonaer-museum.