E. Lohse-Wächtler: Kaffeehaus © Mus. f. Hamb. Geschichte
E. Lohse-Wächtler: Kaffeehaus © Mus. f. Hamb. Geschichte

Elfriede Lohse-Wächtler:
„Ich als Irrwisch“

Lang überfällige Würdigung einer Ausnahmekünstlerin

 

Ihre Augen verfolgen einen noch, nachdem man die Ausstellung längst verlassen hat:
Fragend, forschend, durchdringend – ein bohrender Blick aus grünen Katzenaugen,
dessen Intensität man nicht vergisst. „Ich als Irrwisch“, die großartige Hommage im
Barlach Haus zum 125. Geburtstag von Elfriede Lohse-Wächtler versammelt an die
100 Werke aus ihrer Hamburger Zeit (1925 - 1931), darunter 15 Selbstporträts. Und
allein diese stilistisch sehr unterschiedlichen Selbstbefragungen lohnen den Weg in
den bestechend schlichten Kallmorgen-Bau im Jenisch Park.


„Zwiebelfeuerfresserkunst“ nannte Elfriede Lohse-Wächtler (1899 - 1940) ihre Malerei.
Ein Wort, das man sich auf der Zunge zergehen lassen muss: Zwiebel-Feuer-Fresser-
Kunst. Das ist Kunst, die beißt und brennt, die lodert und schmerzt. Kunst, in der man
verglüht. Das kurze, tragische Leben der gebürtigen Dresdnerin, die 1935 als „schizo-
phren“ entmündigt und zwangssterilisiert, 1940 dann im Zuge der NS-„Euthanasie-Pro-
gramme“ in Pirna-Sonnenstein ermordet wurde, bildete immer wieder die Folie ihres
Werkverständnisses. Und ja, die labile nervliche Verfassung scheint sich auch in den
Bildern zu spiegeln, am deutlichsten im Vergleich der beiden ersten Selbstporträts der
Schau. Wo ist die attraktive, selbstbewusste junge Frau „mit blauem Kragen“ von 1925
geblieben? Das fragt man sich unwillkürlich beim Anblick dieser dümmlich grinsenden
Person „mit Hut“, als die sich Elfriede Lohse-Wächtler 1930, nur fünf Jahre später, dar-
stellt. Das Scheitern der Ehe mit dem Maler und Sänger Kurt Lohse, den sie 22-jährig
geheiratet hat und dem sie 1925 nach Hamburg gefolgt ist, der Nervenzusammenbruch
1929 mit anschließendem Aufenthalt in der Hamburger „Irrenanstalt Friedrichsberg“,
die bittere Armut und Einsamkeit nach dem Weggang aus ihrer Heimatstadt Dresden,
wo sie noch als Teenager in den Avantgarde-Kreis um Otto Dix und Conrad Felixmüller
aufgenommen wurde, das alles scheint in diesem einen Selbstporträt zum Ausdruck zu
kommen. Ebenso ihre mögliche Prostitution und Drogensucht, über die immer wieder
spekuliert wurde.


Aber wie dem auch sei - die persönliche Lebensgeschichte, mag sie noch so tragisch sein,
kann nicht den Ausschlag für die Einordnung eines künstlerischen Werkes geben. Karsten
Müller, Leiter des Ernst Barlach Hauses und Kurator der Schau, ist deshalb angetreten,
den Blick frei zu machen auf ein künstlerisches Ausnahmetalent, das in den wenigen Ham-
burger Jahren eine enorme Produktivität und Vielseitigkeit an den Tag gelegt hat. Elfriede
Lohse-Wächtler, das wird bei dem Rundgang durch diese in zehn Kapiteln aufgefächerte
Ausstellung klar, war eine geniale Malerin, exzentrisch und unkonventionell, die auch die
Frauenrolle in ihrer Zeit immer wieder kritisch beleuchtet.


Die Hafenarbeiter, die Liebespaare, die halbnackten Prostituierten und deren Freier, die alte
Blumenfrau und die hellsichtigen Visionen der bevorstehenden Schrecken – das sind nicht
nur (zum Teil bis in die Karikatur überzeichnete) Milieu-Studien, die ihre Lebensstationen
dokumentieren. Das sind reflektierte Statements und hervorragende Malereien. Ausdrucks-
starke Aquarelle und Pastelle, deren physische Dynamik und virtuoser Umgang mit Farbe
staunen lassen. Elfriede Lohse-Wächtler beherrschte alle Stilrichtungen, den Verismus der
Neuen Sachlichkeit ebenso wie die überbordend-wilde Malerei des Expressionismus. Diese
Ausstellung führt ihre einzigartige Position in der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts vor Augen.

 

Elfriede Lohse-Wächtler: „Ich als Irrwisch“, bis 9. Februar 2025,
Ernst Barlach Haus, Jenischpark, Baron-Voght-Str. 50A, 22609 Hamburg, Do – So 11 – 18 Uhr.

Jeden ersten Samstag im Monat um 14 Uhr, laden das Barlach Haus, das Jenisch Haus und
das Bargheer Museum zur gemeinsamen „KulTour“ (Kunst und Park). Tickets im Bargheer
Museum im Jenischpark (20 Euro).
Weitere Informationen auf www.barlach-haus.de

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