Am Ufer der Seine, 1938 © 2024 Fond. H. Cartier-Bresson/Magnum Photos
Am Ufer der Seine, 1938 © 2024 Fond. H. Cartier-Bresson/Magnum Photos

„Watch! Watch! Watch!

Eine absolut großartige Retrospektive des „Jahrhundertfotografen“
Henri Cartier-Bresson – nur noch bis 22. September!

 

Das Auge des Jahrhunderts“, so hat der Schriftsteller und Biograph Pierre Assouline den
wohl berühmtesten Fotografen und Fotojournalisten seiner Zeit genannt: Henri Cartier-Bresson (1908–2004). Sein Name steht für eine unbändige „Lust am Sehen“, die sich nun im Titel „WATCH! WATCH! WATCH!“, der ersten großen Retrospektive seit 20 Jahren, im Bucerius Kunst Forum spiegelt: 240 Schwarzweißfotografien, flankiert von Publikationen
aller Art – eine Herausforderung, der man sich unbedingt stellen sollte.

 

Zwei Voyeure hinter der gespannten Stoffwand (Brüssel, 1932). Der schattenhafte Sprung über das Wasser
(„Hinter dem Gare Saint-Lazare, 1932). Henri Matisse zu Hause (Vence, 1944). Es gibt etliche Meisterwerke
des französischen Fotografen Henri Cartier-Bresson, die sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben;
Bilder, die millionenfach reproduziert und publiziert wurden. Ulrich Pohlmann, ehemaliger Leiter der Fotografie
im Münchner Stadtmuseum und Kurator der Hamburger Schau, stellt am Alten Wall jedoch einen weitgehend
unbekannten Cartier-Bresson vor. Den ebenso umtriebigen wie rastlosen Fotojournalisten vieler in Vergessen-
heit geratener Bildreportagen. Er lädt uns ein, den berühmten Fotografen als Humanisten und Geschichten-
erzähler (wieder) zu entdecken, den Chronisten und Kronzeugen historischer Geschehnisse, dem es mit
untrüglichem Gespür gelang, „in einem Sekundenbruchteil gleichzeitig die Bedeutung eines Geschehens wie
auch… eine präzise Organisation der Formen zu erkennen, die das gegebene Geschehen zum Leben bringt“,
wie er selbst sagte, und diesen „entscheidenden Augenblick“ mit seiner Leica-Kamera einzufangen.

 

Dabei kommt häufig auch die Haltung des aus einer großbürgerlichen Unternehmerfamilie stammenden
Franzosen deutlich zum Ausdruck. Cartier-Bresson war keinesfalls so unpolitisch, wie er sich gern gab. Zu
Beginn der 1930er Jahre, als Europa zunehmend unter den Einfluss der Faschisten geriet, sympathisierte er
mit den Linken und arbeitete für kommunistische Zeitungen. Bei den Krönungsfeierlichkeiten von Georg VI.
in London 1937 fotografierte er konsequent nur die Schaulustigen am Straßenrand. Wunderbar das Foto
der Frau mit langgestrecktem Hals auf den Schultern zweier Männer (Plakat- und Katalog-Motiv) oder der
erschöpften Damen, die sich nach stundenlangem Warten einfach auf die Straße setzen. Kein einziges Foto
von Kutsche und König in einer Auftrags-Reportage über die Krönung! Deutlicher kann man seine Kritik an
der Monarchie wohl kaum zum Ausdruck bringen.

 

War Henri Cartier-Bresson als junger Künstler noch stark vom Surrealismus und dem „Neuen Sehen“ beein-
flusst, so wandelte sich sein Stil ab den 1930er Jahren zunehmend zur „Street Photography“. Wo Geschichte
geschrieben wurde, war er dabei, egal ob in Kuba, China, Russland oder den USA. Die Erfahrungen als
französischer Soldat im Zweiten Weltkrieg und die Kriegsgefangenschaft unter den Deutschen (der er beim
dritten Fluchtversuch entkam, um sich der Resistance anzuschließen), prägten sein Lebenswerk nachhaltig.
Zu den intensivsten Bildergeschichten (den Begriff mochte er übrigens gar nicht) dieser Ausstellung gehören
die Aufnahmen von 1945 aus einem Lager in Dessau für „Displaced Persons“, verschleppte Zwangsarbeiter
aller Nationen. Die Szenen, die er da festhielt, die weinenden Kinder mit ihren leeren Blechnäpfen, die zu-
sammengebrochene Frau auf dem Trümmerfeld, die ehemalige Informantin der Gestapo, die von einer
befreiten Lagerinsassin erkannt und angegriffen wird – das sind alles Bilder, die einen nicht mehr loslassen.

 

Aber noch ein Wort zu den Sehgewohnheiten. In der Regel präsentieren Ausstellungen heutzutage foto-
grafische Riesenformate. Aber wer in den Fotoalben der Großeltern blättert, wird dort die winzig kleinen
Aufnahmen finden, die noch bis in die 1980er Jahre üblich waren. Die Originale von Henri Cartier-Bresson
haben überwiegend ein kleines Format – und da genau hinzusehen und sich darauf einzulassen, erfordert
eine gewisse Anstrengung. Doch ganz gewiss, sie lohnt.

 

Isabelle Hofmann

 

„Watch! Watch! Watch! Henri Cartier-Bresson”, bis 22. September 2024, Bucerius Kunst Forum,
Alter Wall 12, 20457 Hamburg Mo – So 11 – 18 Uhr, Do 11 – 21 Uhr.

Weitere Informationen auf www.buceriuskunstforum.de

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