Arbeiter, Chile, Anfang 20. Jh.  © Henry B. Sloman Archiv
Arbeiter, Chile, Anfang 20. Jh. © Henry B. Sloman Archiv

Weißes Wüstengold

Das Chilehaus ist Architekturdenkmal, Backstein-Ikone, UNESCOWelterbe.
Doch wer weiß, warum es diesen Namen trägt?

 

Zum 100. Geburtstag des berühmten Fritz-Höger-Baus mit schiffsbuggleicher Spitze beleuchtet
das MARKK in der Ausstellung „Weißes Wüstengold – Chile-Salpeter und Hamburg“ die Geschichte hinter der spektakulären Fassade des Chilehauses.

 

„Salpeterkönig“, „Salpeterbaron“, „Salpeterfürst“. So nannte man Henry B. Sloman, Hermann C. Fölsch und Friedrich (Federico) von Martin, drei führende Unternehmer im Rohstoff-Geschäft, die eng mit-
einander und ebenso eng mit der Hansestadt Hamburg verbunden waren. Die Salpeter-Imperien, die
sie in der Atacamawüste ab 1872 aufbauten (damals gehörte das Gebiet noch zu Peru, nach Ende des
„Salpeterkrieges“ zwischen Chile, Bolivien und Peru um die kostbaren Bodenschätze im Jahre 1884
wurde es chilenisch), trugen maßgeblich zum Boom der Hansestadt bei. Der Rohstoff zur Herstellung
von Anilinfarben, Sprengstoffen und Düngemittel war in Europa heißbegehrt und Deutschland war durch
seine aufkommende Agrarindustrie der wichtigste Abnehmer. Die Handelsschiffe aus Chile (darunter die
„Peking“ der Reederei Laeisz) kamen im Hamburger Hafen an. Hier war der zentrale Umschlagplatz, die
Hansestadt profitierte davon und Sloman galt um 1900 als reichster Bürger der Stadt. Die Bedingungen
jedoch, unter denen in Übersee das Vermögen erwirtschaftet wurde, interessierten hier niemanden.

 

Die von Christine Chávez kuratierte Ausstellung im MARKK setzt genau dort an und rückt anhand von
neu interpretierten und kritisch aufgearbeiteten historischen Fotografien (vielfach aus den Privatarchiven
von Sloman und Fölsch) die Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie den Widerstand der überwiegend
indigenen Arbeiterschaft in den Fokus.

 

Sicher, die Arbeitsbedingungen in den Bergwerken des ausgehenden 19. Jahrhunderts waren überall
katastrophal. Die Ausbeutung der Arbeiterschaft in den Salpeterwerken der Atacama-Wüste, der
heißesten und trockensten Wüste der Welt, war jedoch unvergleichlich: Schwerstarbeit bei mehr als
40 Grad, auch Kinderarbeit. Giftige Dämpfe, die zu vielen tödlichen Unfällen führten. Miserable hygie-
nische Zustände in den primitiven Wellblechlagern der Arbeiterschaft (die der Diktator Pinochet später
noch als Konzentrationslager nutzte). Tagsüber Gluthitze, nachts Temperaturen um den Gefrierpunkt.
Überdurchschnittlich hohe Säuglingssterblichkeit.

 

Die Löhne wurden nur einmal im Monat in chilenischer Währung ausbezahlt, ansonsten mit werkseigen-
em Kunstgeld, das man in den Werksläden gegen überteuerte Waren eintauschen musste. So flossen
die Gehälter gleich wieder zu den Unternehmen zurück. Was für ein Elend! Dabei hatten es die Arbeiter
von Sloman noch verhältnismäßig gut. Der Hamburger ließ Kirchen, Erholungszentren und Schulen
bauen. In den meisten „Oficinas salitreras“ dagegen waren die Zustände so unerträglich, dass es im
Dezember 1907 zu einem Massenstreik kam, den das Militär mit dem unvergessenen Massaker in der
Schule Santa Maria von Iquique niederschlug. Dort hatten sich die Arbeiter mit Frauen und Kindern
versammelt, um ihre Forderungen vorzubringen, tausende wurden niedergemetzelt. Dieses schreckliche
Ereignis gehört ebenso zu den „unbequemen Erinnerungen“ des Chile-Hauses, wie die Tatsache, dass
leitende Angestellte aus Deutschland in ihrer Freizeit prähistorische Gräber der Atacamawüste plünderten
und ihre Sammlungen später dem Hamburger Völkerkundemuseum (dem heutigen MARKK) vermachten.

 

Isabelle Hofmann

 

„Weißes Wüstengold – Chile-Salpeter und Hamburg“, bis 26. Januar 2025, MARKK, Rothenbaum-
chaussee
64, 20148 Hamburg, in Kooperation mit „Unbequeme Erinnerungen“ – auf den Spuren
des Salpeterhandels in Chile und Deutschland“, Deutsches Hafenmuseum, Australiastr. 6, 20457
Hamburg, bis 31. Oktober 2024.

Weitere Informationen auf www.markk-hamburg.de.

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