Maria Martins,
Maria Martins, "Ma chanson" © Estate of Maria Martins

IN HER HANDS

Großartige (Wieder)Entdeckung: Die drei surrealistischen Bildhauerinnen
Maria Martins,
Isabelle Waldberg und Sonja Ferlov Mancoba

 

Denkt man an die Bildhauerei des Surrealismus, denkt man an Hans Arp, Constantin
Brancusi, Max Ernst, Alberto Giacometti, Joan Miró oder Marcel Duchamp – an Männer.
Im Bucerius Kunst Forum rückt nun die Ausstellung „In Her Hands“ drei Bildhauerinnen
des Surrealismus ins Rampenlicht. Die Tatsache, dass sie noch nicht Kunstgeschichte
schrieben, hat nur einen Grund: Es sind Frauen.


„Natürlich waren die Frauen wichtig – als unsere Musen. Sie waren keine ‚Künstlerinnen‘.“
Vielleicht war es dieser Satz des surrealistischen Künstlers Roland Penrose, der Kathrin
Baumstark, seit 2022 Direktorin des Bucerius Kunst Forums, so empörte, dass sie sich
vornahm, das Gegenteil zu beweisen und die hervorragenden Werke wenig bekannter
Künstlerinnen aus ihrem Schattendasein zu holen. Das komplette Jahr 2023 hatte sie
„Genialen Frauen“ gewidmet. Malerinnen des 16. bis 18. Jahrhunderts ebenso wie der
Künstlerin Gabriele Münter, Weggefährtin von Wassily Kandinsky und Mitbegründerin
der Gruppe „Blauer Reiter“. Oder der Fotografin Lee Miller, die heute weitaus bekannter
ist als ihr ignoranter Ehemann Roland Penrose. Gemeinsam mit den beiden Kuratorin-
nen Katharina Neuburger und Renate Wiehager präsentiert Kathrin Baumstark nun das
erste Mal drei hochkarätige, in Deutschland weitgehend unbekannte Bildhauerinnen: Die
Dänin Sonja Ferlov Mancoba (1911-1984), die Brasilianerin Maria Martins (1894-1973)
und die Schweizerin Isabelle Waldberg (1911-1990).


Der Ausstellungsraum am Alten Wall ist zum ersten Mal vollständig geöffnet, die Seiten-
fenster fluten die zumeist kleinen und mittelgroßen Plastiken (überwiegend Bronzen) und
skulpturalen Ensembles mit Tageslicht, so dass man auf den ersten Blick die erstaunliche
Wahlverwandtschaft der Künstlerinnen erkennen kann. Alle drei waren zu Lebzeiten durch-
aus erfolgreich und in großen Ausstellungen vertreten, erhielten wichtige Auszeichnungen
und Aufgaben, auch heute noch sind sie in ihren Heimatländern bekannt. Im Gegensatz zu
den anfangs genannten Künstlern gehören sie (bislang) jedoch nicht zum sogenannten
„Kanon der Moderne“. Dabei stehen ihre Werke denen ihrer Kollegen in nichts nach.

 

Wie die gesamte europäische Avantgarde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren
auch die drei Frauen fasziniert von außereuropäischen Kulturen, insbesondere von afrika-
nischer Kunst. In allen drei Oeuvres finden sich abstrahierte Masken und archaisch anmuten-
de, amorphe Figurationen wieder. Die spirituell anmutenden Wesen von Sonja Ferlov Mancoba
sind zum Teil stark komprimiert, das facettenreiche Werk von Isabelle Waldberg changiert
zwischen blockhaft-schweren Bronzeplastiken und filigranen Konstruktionen aus Buchenholz-
stäben oder Eisen, die von den Seekarten aus Muscheln und Fasern der indigenen Südsee-
Bevölkerung inspiriert sind. Maria Martins wiederum rückt afrobrasilianische Mythen und das
Thema Sexualität in den Vordergrund. Als Gattin eines brasilianischen Botschafters ist sie die
schillerndste Persönlichkeit in diesem Reigen, war selbst Sammlerin präkolumbianischer
und afrobrasilianischer Artefakte, war international auf wichtigen Ausstellungen vertreten und
baute die Biennale von Sao Paulo mit auf. 2012 waren ihre Arbeiten auf der Documenta 13 zu
sehen, auch das Hauptwerk der Hamburger Schau: Die raumgreifende Bronze „The Impossible“,
ein ineinander verzahntes, stacheliges Paar, das hervorragend die Hassliebe zwischen Mann
und Frau, den unauflösbaren Geschlechter-Clinch verkörpert.

 

Es lohnt sich sehr, den Katalog über die bewegten Lebensgeschichten der drei Künstlerinnen
zu lesen. Ob sie Kontakt untereinander hatten, ist nicht belegt, doch sie haben sicher vonein-
ander gewusst. Ferlov Mancoba und Waldberg studierten zeitgleich in Paris (an unterschied-
lichen Akademien), alle drei waren innerhalb der internationalen Surrealisten-Szene, auch im
US-Exil, bestens vernetzt. Martins und Waldberg stellten in der Pariser Galerie Maeght 1947
sogar gemeinsam aus – kuratiert von Marcel Duchamp, den mit beiden Künstlerinnen ein zeit-
weiliges Liebesverhältnis verband. Sein Bronzekopf auf einem Schachbrett mit zwei kleinen
(weiblichen?) Figuren, Isabelle Waldbergs Reminiszenz an ihren Freund und Mentor, ist viel-
leicht auch eine Anspielung darauf, wie geschickt Duchamp seine Frauen über das Schach-
brett des Lebens zu dirigieren vermochte.

 

Isabelle Hofmann

 

„In Her Hands. Bildhauerinnen des Surrealismus“, bis 1. Juni 2025,
Bucerius Kunst Forum,
Alter Wall 12, 20457 Hamburg,
täglich 11 – 19 Uhr, Do bis 21 Uhr.

Weitere Informationen auf www.buceriuskunstforum.de.

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