
"Glitzer" - es flimmert und flirrt
im Museum für Kunst und Gewerbe
„Ist alles so schön bunt hier“, schmetterte Punk-Lady Nina Hagen 1978 in ihrem Song
„TV-Glotzer“. Mittlerweile ist alles wieder ganz schön braun geworden in Deutschland.
Höchste Zeit also, die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft aufzuzeigen. Doch ein wichtiges
Thema ist kein Garant für eine rundum gelungene Schau, wie das Museum für Kunst und
Gewerbe mit seiner Ausstellung „Glitzer“ beweist.
Glitzer ist billig, Glitzer ist demokratisch, steht aber gleichzeitig für das ganz große Show-
geschäft. Ob Las Vegas oder Hollywood, ob David Bowie, Cher oder Britney Spears – Stars
und Sternchen präsentieren sich ihrem Publikum mit Vorliebe in funkelnden Outfits, ebenso
wie ihre kleinen und großen Fans: Irgendein Glitzerkram schafft es in jedes Kinder- oder
Teenager-Zimmer, wie alle Eltern von Töchtern wissen, da kann man noch so sehr gegen
„den Kitsch“ wettern. Kaum ist die Phase von Cinderella und Prinzessin Lillifee mit Glitzer-
stickern, Glitzerzauberstäben und Glitzer-Schuhen überwunden, kommen Glitzer-Handy-
Hüllen, Taylor Swift-Freundschaftsbänder oder Pailletten-Shirts für heiße Clubnächte.
Glitzer steht aber nicht nur für Glamour und rosarote Kleinmädchen-Ästhetik, Glitzer steht
auch für politischen Protest und Selbstermächtigung. Ein Schwerpunkt der „weltweit ersten
Ausstellung zu dem Thema“, wie MK&G-Chefin Tulga Beyerle bei der Eröffnung stolz ver-
kündete, ist die Darstellung der internationalen LGBTQ+-Szene: Funkelnde Kostüme (das
beeindruckendste stammt aus Brasilien und bezieht sich auf eine mythologische Figur),
extremes Make-up und Ganzkörperbemalung (lebensgroß auf dem Videostill des queeren
australischen Duos „The Huxleys“ zu bewundern) sind seit jeher Symbol des Widerstands
und der Selbstbestimmung – ein unübersehbares Zeichen gegen normative Geschlechter-
rollen und gesellschaftliche Konventionen.
Doch die unbestrittene gesellschaftliche Relevanz des Themas, das enorme PR-Feuerwerk,
das die Schau zum Ereignis des Jahres stilisiert, sowie die schillernden Drag-Queens, die
sich zur Eröffnung ein Stelldichein am Steintorplatz gaben, täuschen nicht darüber hinweg,
dass diese Schau ganz offensichtlich eine Low-Budget-Ausstellung ist. Der zentrale Raum,
die „Hall of Glitter“, zeigt eine Ansammlung von Glitzer-Objekten aus Massenproduktion
von heute und gestern. Selbstverständlich haben die „Lieblingsstücke aus Privatbesitz“, die
die beiden Kuratorinnen Julia Meer und Nina Lucia Groß durch einen „Open Call“ zusammen-
getragen haben, ihre Berechtigung in der Schau, aber jedes Plastik-Einhorn, jede glitzernde
Party-Deko auf dunklen, mit Granulat gefüllten Podesten gleichsam „auf den Sockel zu
heben“, wirkt seltsam aufgeblasen. Das benachbarte Jugendzimmer mit dem Setzkasten
voller Nippes-Figuren mag realistisch sein, gestalterisch überzeugt die Installation der
Künstlerin Jenny Schäfer jedoch wenig, die links und rechts flankierenden rosa Stoffbah-
nen, die den Raum verhängen, erscheinen als eilig zusammengeschusterte Notlösung.
Angesichts des Anspruchs des Hauses, international auf höchstem Niveau mitzuspielen,
ist das jedenfalls etwas schwach.
Vor allem aber fragt man sich, warum die vielfältigen Facetten von Glitzer und seine Rolle
als Ausdrucksmittel in verschiedenen Zeiten und Kulturen größtenteils über reihenweise
aufgestellte Pappkarten vermittelt werden. Das MK&G ist eine der bedeutendsten Schatz-
kisten weltweit, rund 600 000 Sammlungsobjekte schlummern in seinen Archiven. Die
Geschichte des Glitzers, die im Gang an Kurztexten nachzulesen ist und demnach schon
50.000 v. Chr. mit den Neandertalern begann, wäre spätestens seit den alten Ägyptern
(ca. 2500 v. Chr.) anhand von hauseigenen Exponaten, Skulpturen, Gemälden, Kleidung,
darstellbar. Was wäre das für eine tolle, opulente Ausstellung geworden! Allerdings aber
auch eine, die wohl um ein Vielfaches teurer geworden wäre. Dennoch: Die Ausstellung
ist sehr familienfreundlich, es kann gebastelt werden und – kleine Mädchen bekommen
bestimmt glänzende Augen…
Isabelle Hofmann
„Glitzer“, bis 26. Oktober 2025, Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg, Steintorplatz,
20099 Hamburg, Di – So 10 – 18 Uhr, Do bis 21 Uhr (Karfreitag bis 18 Uhr).
Weitere Informationen auf www.mkg-hamburg.de.